Tevis abgesagt – stattdessen Big Horn 100!
Waldbrände im nördlichen Kalifornien, vor allem auch in der Nähe des Western State Trails, über welchen der Tevis führt, verbunden mit extrem schlechter Luft (wegen des Rauchs), zwangen die Organisatoren des Tevis Rittes, diesen zirka eine Woche vorher definitiv abzusagen. Als Alternative bot sich der Big Horn 100 an, der bei Shell, Wyoming in den Big Horn Mountains stattfindet.
Nach meinem tollen Erlebnis am Tevis letztes Jahr wollte ich diesen Ritt dieses Jahr eigentlich noch einmal machen, aber dieser Plan fiel ins Wasser – na ja, so sollte man das vielleicht nicht grad ausdrücken, der Plan wurde eher ein Opfer der Flammen: Kalifornien brennt, die Luft in weiten Teilen des Staates ist kaum zu atmen, und der Ritt wurde aus Sicherheitsgründen abgesagt.
Wir waren alle enttäuscht; Christoph erläuterte, es gäbe einen anderen 100-Meiler an demselben Datum: den Big Horn 100 bei Shell, Wyoming, am Fuss der Big Horn Mountains. Dieses Mal waren wir eine ganze Gruppe: acht Pferde und acht Reiter; sechs für den 100-Meiler, und zwei für den 55-Meiler. Zwei weitere Pferde mussten für ein Kadertraining für Christoph am folgenden Wochenende mitkommen. Somit hatten wir zehn Pferde dabei, als wir am Mittwochmittag vom Global Endurance Training Center in Moab in Utah losfuhren; sechs im Stock Trailer, und vier im Wohnwagen/Trailer.
Wir fuhren an diesem Tag etwa sieben Stunden bis Rawlins in Südwyoming, wo wir auf dem Fairground übernachteten. Die meisten Städtchen im Westen der USA haben einen Fairground, normalerweise ein Rodeogelände mit Corrals für Pferde. Wir konnten unsere Pferde da einfach einstellen, wo wir wollten – es waren schon ein paar andere dort – und am Morgen fünf Dollar pro Pferd hinterlassen. Wasser Anschluss hatte es auch, sowie WCs für uns; Futter und Heu hatten wir eh selber dabei.
Am Donnerstag fuhren wir dann den Rest des Weges, noch mal sechs Stunden, und dann waren wir in Shell, Wyoming, auf endloser Grassteppe, und auf der anderen Seite die Big Horn Mountains. Das Base Camp war riesig, wir konnten parken, wo wir wollten, und bauten vier Corrals auf für unsere zehn Pferde – oder mindestens für neun davon, der Hengst, Express, blieb am High-Tie am Trailer angebunden.
Als wir am Abend herumsassen, und uns auch mit anderen Reitern unterhielten, hörten wir all die Geschichten über diesen Ritt – Schneestürme auf dem Berg oben … zwei junge Reiterinnen vor zwei Jahren so verloren, dass sie über Nacht draussen in der Wildnis bleiben mussten … jedes Jahr viele Reiter, die es nicht in 24 Stunden schaffen … 16, 17, 18 Stunden normale Siegerzeit … jedes Jahr verirren sich viele Reiter, da der Trail extrem schlecht markiert ist – das kann ja heiter werden!
Am Freitag ritten wir dann unsere Pferde locker für zirka anderthalb Stunden. Unsere effizienten und enthusiastischen Grooms, unterstützt von uns allen, packen drei Vet Check Boxen, da es anscheinend für die Grooms nicht möglich ist, zu den VCs zu fahren. Nachher heisst es dann allerdings, das ginge doch. Zusätzlich zu den Boxen für die Pferde – Decken, Futter aller Art, Elektrolyten, etc. – packen wir auch zwei Boxen mit allem, was die Reiter eventuell wünschen könnten: Getränke, Jacken, Esswaren, etc. Die Boxen werden alle mit GETC (Global Endurance Training Center) angeschrieben, damit es ja zu keinen Verwechslungen kommt.
Nach erfolgreichem Vet-In bekommen die Pferde die Startnummer auf den Hintern gemalt, auf beiden Seiten – das eliminiert die nervige Notwendigkeit für die Reiter, die ewig flatternden oder sich lösenden und störenden Startnummern umzubinden. Das wird hier in den USA immer so gemacht.
Dann noch einmal ein Check, dass alles gepackt ist, dass jeder seine Sachen zusammen hat. Denn um drei Uhr in der Früh im Dunkeln sollte keiner was suchen müssen! Der Start ist um vier Uhr. Daher versuchen wir, doch noch ein paar Stunden wertvollen Schlafes zu erhaschen. Ich freu mich wahnsinnig auf den Ritt, hab aber auch ein wenig Bedenken – wegen des Verirrens. Ich hass es, wenn ich verloren gehe wegen schlechter Markierung.
Um drei Uhr weckt uns eine Stimme vor dem Trailer, “Christoph, it’s time to get up!“ Wir stehen alle auf, acht Reiter und drei Grooms. Dann, um Viertel vor vier, stellen wir uns mit den anderen Reitern auf: 26 Starter im 100-Meiler, und etwa 15 im 55-Meiler, und alle starten zusammen. Es ist ein kontrollierter Start, die erste Viertelmeile hinter einem Auto her, dann geht’s los. Wir haben tatsächlich ein sehr internationales Feld: neben den Amerikanern drei Kanadier, zwei Reiterinnen aus Dubai, Anton aus Australien in unserer Gruppe, sowie Jo von England, die allerdings auch in Australien lebt. Anton und Christoph gewannen letztes Jahr den Quilty zusammen auf Anton’s Pferden in Australien.
Christoph hat uns an unserem persönlichen Pre-Ride Briefing tags zuvor gesagt, wir würden bis zum ersten Vet Check zusammen reiten, es solle ihn also keiner überholen. Ich halte also nach Christoph Ausschau, was aber nicht so einfach ist. Er reitet Express, den Hengst, konnte sich also nicht direkt mit uns einreihen, da Express verrückt spielte. Ich weiss aber, dass die kleine Gruppe hinter mir einige von unseren Leuten sind. Der Mond ist fast voll, und so brauche ich meine Kopflampe nicht, die die Sicht meines Pferdes eh nur behindern würde. Als Markierung sind auf den ersten 15 Meilen oder so Blinklichter angebracht, da man die Fähnchen ja noch nicht sehen kann. Zuerst geht es über sandige Wege durch sanft wellendes Gelände, auf die Berge zu. Wir sind schon über eine Meile unterwegs, und immer noch im Schritt; alle anderen sind an uns vorbei gezogen, und schliesslich ruf ich zu der kleinen Gruppe hinter mir zurück, “Marcie, wo ist Christoph?“
Oh, der ist schon lange weg, der war vorne, meint sie. Shit! Ich fang an zu traben, stetig vorwärts, Khan bewegt sich willig, aber sehr ruhig und ohne zu ziehen. Wir überholen immer wieder kleine Grüppchen, und kurz bevor es in die ersten Hügel am Fusse der Berge geht, hole ich zu Christoph auf. Jo ist auch bei ihm. Nun geht es aufwärts, und zwar happig; der Weg wird steiniger, schmaler, enger, und bald schon arbeiten wir uns die steilen Wände eines Canyons hoch, dann geht es durch Föhren und Fichten Wald bis zum Grat, wo wir eine Strecke Gras überqueren, bis es wieder in einen Canyon geht.
In der Zwischenzeit ist es hell geworden, und es wird wärmer, aber es weht eine frische Brise, was für die Pferde angenehm ist. An den steilsten Stellen gehen wir Schritt, steigen auch mal ab und führen die Pferde. Christoph kann auch den Berg hoch rennen; das schaff ich nicht, oder nur so langsam, dass es keinen Sinn macht.
Bis jetzt find ich die Markierung eigentlich gut, man sieht die weissen Fähnchen gut, und sie sind da, wo sie sein sollten: an jeder Verzweigung; halt fast keine zwischen drin, aber wenn’s abzweigt, ist das markiert. Zwischendurch müssen auch immer wieder Gatter geöffnet und hinter uns geschlossen werden. Dann haben wir einen Bergrücken erreicht, und weiter vorne sehen wir eine Dreiergruppe – mit Anton – und den ersten Vet Check nach 25 Meilen (40 km). Absatteln muss man nicht. Unsere Pferde pulsen sofort runter, und dann beginnt unsere 30-Minuten Pause. Unsere Grooms sind erst angekommen, denn es war schwierig, mit den Autos den Ort zu finden. Aber trotzdem haben sie alles für uns bereit gemacht. Ich geniesse den völlig ungewohnten Luxus, Grooms zu haben, die angeeilt kommen und alles für das Pferd machen, dass man sich zurücksetzen und was essen und trinken kann, und weiss, dass das Pferd in den besten Händen ist. Kate, unser Head Groom, fragt auch nach unserer Aus-Zeit, schreibt alles auf, und passt auf, dass alle zeitig wieder bereit sind. Christoph ist der erste von uns Vieren, der wieder los kann. Ich bin etwa drei Minuten hinter ihm, hole ihn aber bald wieder ein, mit Anton gleich hinter mir. Auf dieser Strecke geht es über weite, offene Hochebenen mit Gras und Wildblumen. An einem Waldrand müssen wir ein paar Minuten das nächste Fähnchen suchen, und Patsy von Texas, die mit uns reitet, findet es schliesslich, dann geht es weiter. Wir kommen auf eine Riesenweide mit Rindern – die wir zwar nirgends sehen, aber wir wurden am Pre-Ride Meeting informiert, dass die da seien und die Fähnchen liebten. Und tatsächlich: Kein Fähnchen steht mehr! Wir reiten auf breiter Fläche und suchen, also kann man nur Schritt reiten. Wir finden eines nach dem anderen, und ich bin froh, als wir aus dieser Hochweide raus sind, denn jetzt stehen die Fähnchen wieder.
Auf einer Kuppe sehen wir plötzlich ein Riesenrudel Wapiti Hirsche. Ich dachte, es seien einfach Rehe, aber Christoph belehrte mich eines Besseren. Und dann plötzlich ein grosses, massives, dunkles, schwerfällig trottendes Ungetüm nur ein paar Meter entfernt – Elch! Unsere Pferde bestehen den Elch-Test; jedenfalls kippt keines um.
Diese 15 Meilen vergehen recht rassig, und bald erreichen wir den zweiten Vet Check bei 40 Meilen (64 km). Es ist das letzte Stück abwärts gegangen. Ich führe Khan das letzte Stück, und somit können wir im Vet Gate nur den Sattel runterziehen und gleich präsentieren, Khan ist bereits auf den geforderten 64 bpm. Jetzt hat Khan eine Stunde Pause, und er stürzt sich auf das verschiedene Futter, dass unsere fleissigen Groom-Hainzelmännchen für unsere acht Pferde ausgebreitet haben. Alles ist bereit, obwohl sie auch erst angekommen sind. Ich kann mich beruhigt hinsetzen und auch etwas essen und trinken, das Pferd wieder optimal betreut. Ich kann den Luxus immer noch kaum fassen.
Nach unserer Pause geht es weiter; ich bin nun ein paar Minuten vor Christoph, und Anton ist noch weiter zurück. Sein Pferd Millennium hatte länger, bis der Puls unten war. Jo reitet seit dem ersten VC langsamer, und Mel und Larry sind irgendwo hinter uns.
Jetzt geht es wieder bergauf, den nächsten Hang hoch, dann wieder über eine weite Ebene, und zusätzlich zu den Bergen, in welchen wir reiten, erheben sich am Horizont im Nordosten schneebedeckte Zacken – das Herz der Big Horns. Rundum endlose, menschenleere Weite; stahlblauer, wolkenloser Himmel, grüne Flächen, dunkle Nadelbäume! Dann sehe ich Patsy vor mir und hole sie ein. Ich überhole sie und sie schliesst sich mir an.
Auf und ab geht es weiter, die nächsten 16 Meilen, immer wieder rauf und runter. Unterwegs müssen wir immer wieder absteigen, um Gatter zu öffnen – mühsam, vor allem die, welche keine richtigen Gatter haben, sondern nur gespannten Stacheldraht. Patsy erzählt, an einem anderen Ritt habe sie so einer ins Gesicht getroffen, als sie ihn öffnete – Blut überall … wir gehen vorsichtig vor und öffnen und schliessen den einen oder anderen gemeinsam, das geht einfacher. Dann sehen wir plötzlich ein paar Pickup Trucks: der dritte VC, allerdings gibt es hier bei Meile 56 nur einen obligatorischen 10-Minuten Halt, ohne Untersuchung, dann geht es auf einen 14-Meilen Loop, nach welchem man in diesen VC zurück kommt, und dann eine Untersuchung und 30 Minuten Pause hat – vor den letzten 30 ununterbrochenen Meilen.
Unsere Grooms haben sich in der Zwischenzeit aufteilen müssen, da unsere acht Reiter nun ebenfalls weit verteilt sind. Aber Kate und Marie kommen grad an mit Shawn, bei dem sie mitfahren können, und Khan bekommt mehr Futter. Dann geht es weiter. Nur 14 Meilen denk ich, und wir sind hier hoch oben auf einem Grat – das machen wir locker, Khan ist noch so frisch! Grad als Patsy und ich weitereiten, kommt auch Christoph hier an. Ich seh euch in knapp zwei Stunden, ruf ich den Grooms noch zu mit einem Winken, dann traben wir die Strasse runter. … wie der Mensch sich irren kann!!! Diese 14 Meilen sind ein Ritt durch Dante’s Neunten Kreis der Hölle – wenn auch verpackt in der wunderbarsten Landschaft, die man sich vorstellen kann. Nach dem Stück ungeteerter Strasse geht es links ab in die Bäume, dann auf einen schmalen Pfad, der mehr aus groben Felsblöcken als aus “Boden“ besteht; und natürlich geht’s recht steil den Hang rauf … Khan hat von dieser Kletterei gründlich die Nase voll. Er meint, er sei schliesslich kein Big Horn Schaf, sondern ein Pferd – ein Steppenrenner, und er wird immer langsamer. Sein Schritt lässt eh zu wünschen übrig, und jetzt muss ich treiben, dass er sich überhaupt noch bewegt. Patsy will daher die Führung übernehmen, aber ihre Stute fühlt dasselbe, sie will auch nicht mehr, und versucht immer wieder, nach links den Hang runter auszubrechen. Dann sind wir oben, und es geht auf der anderen Seite runter in die Bäume. Aber hier bleibt Khan einfach stehen, und lässt sich nicht mehr dazu bewegen, auch nur einen Schritt zu tun. Mein Gott, was fehlt dem Pferd?!?!?! Ich springe runter und taste seine Kruppe ab: kein Tie-up, da ist alles weich und locker. Verletzt ist er auch nicht. Kolik? Nein, er stürzt sich auf das Gras und frisst gierig, schwitzt auch nicht und ist völlig ruhig. Ich probier’s mit Führen und wir beobachten seine Beine. Eigentlich alles okay, er bewegt sich normal, so geh ich eben mal zu Fuss. Ich hab bereits Visionen davon, die nächsten zehn Meilen bis in den Checkpoint zu Fuss zu gehen – hier könnte dich jedenfalls kein Fahrzeug von der Strecke holen – ausser einem Helikopter käme hier nichts hin, und auch der hätte keinen Platz zum landen, zu steinig. Vielleicht ein Motocross Motorrad, aber das würde ja auch nicht helfen. Nein, wir sind auf uns gestellt.
“Du Patsy“, sag ich nach einer Weile, “hast du kürzlich ein Fähnchen gesehen?“ “Äh … nein! “ Wir kommen an einen Holzzaun, mit drei Stämmen als Gatter – kein Fähnchen. Hmh! Wir kehren um und suchen das letzte Fähnchen, aber ich bin sicher, da war gar kein anderer Pfad. Wir gehen fast eine Meile zurück, finden dann zwei alte Fähnchen zertrampelt am Boden – eben doch dieser Pfad. Nun suchen wir links und rechts nach Fähnchen oder alternativen Pfaden – nichts! Wir kommen schliesslich wieder an dieses Gatter und überlegen uns, was wir tun sollen. Ich schlage vor, wir kehren um und reiten denselben Weg ins Vet Gate zurück. Besser, als hier oben völlig verloren zu gehen. Wir haben hier jetzt eine gute halbe Stunde verloren, aber immerhin scheint Khan wieder völlig normal! In diesem Moment kommt die Erlösung in Form von Christoph mit Express!
Wir erklären ihm unser Dilemma und zeigen ihm das Gatter, und er sagt, er habe diesen Ritt ja bereits mehrmals gemacht, und er erinnere sich vage, dass es durch so ein Gatter gehe. Und sie hätten im Vet Gate gesagt, ein paar Meilen des Trails hier draussen sei nicht markiert. Na super – warum haben sie das Patsy und mir nicht gesagt!!! Man käme mit dem ATV nicht hin zum markieren! Ah ja?! Da hätte der Betreffende seinen faulen Hintern ja von seinem ATV runterbemühen und mindestens an diesem elenden Gatter ein Fähnchen anbringen können, zu Fuss – das tötet niemanden!
Na ja, immerhin wissen wir nun dank Christoph, dass wir doch auf dem richtigen Weg waren und ritten weiter, zu dritt. Nach ein paar Meilen kommen dann plötzlich auch tatsächlich wieder die kleinen weissen Fähnchen. Nun kann ich auch die überwältigend grandiose Landschaft wieder geniessen. Wir kommen an zwei Bergseen vorbei, müssen einen am unteren Ende dann auch durchqueren auf einer Furt, die den Pferden nicht ganz bis an den Bauch reicht – eine willkommene Abkühlung. Der Weg bleibt aber so felsig, dass man kaum richtig vorwärts kommt. Wir brauchen für die lausigen 14 Meilen fast 4 Stunden (natürlich inklusive der verlorenen Zeit mit der Suche nach nicht-existenten Fähnchen). Bin ich froh, als wir aus dem Wald kommen und das Vet Gaste wieder vor uns sehen!
Khan ist wieder direkt zum Vorführen bereit, und Kate trabt ihn für mich vor; ich will mich einfach nur hinsetzen! Khan hat überall gute Werte, und nun hat er wieder 30 Minuten zum fressen und ruhen – und wie er frisst!
Offizielle Helfer braten hier auf einem kleinen Grill Hamburger für die Reiter. Kate informiert uns, dass alle unsere anderen Pferde auch noch immer Rennen seien, und dass die beiden 50-Meiler ihr Rennen gut beendet hätten.
Khan und ich sind die Ersten, die diesen VC verlassen, mit Christoph nur eine Minute hinter uns. Ich reite Schritt, bis er mich eingeholt hat. Dann geht es wieder los. Khan ist wie verwandelt, voller munterem und frischem Bewegungsdrang, wieder wie am Anfang! Kurze Zeit später ist auch Patsy wieder bei uns, und wir Drei nehmen die letzten 30 Meilen in Angriff. Es ist jetzt Abend geworden, etwa sechs Uhr – das bedeutet, dass wir nicht allzu viel Strecke im Dunklen werden reiten müssen.
Von nun an geht es fast nur noch runter, mit fast ebenen Teilen dazwischen, und wir kommen besser vorwärts. Der Weg ist auch nicht mehr ganz so steinig, oft sind wir auf Sand oder Gras. Gegen Meile 90 hin wird es immer steiler, und wir steigen ab, dann wieder auf, dann wieder ab; immerhin kann man bereits in die Ebene runter sehen. An einem technisch schwierigen Punkt über Felsplatten hören wir plötzlich ein scharfes Kratzen, dann ein Aufschrei von Patsy. Ihre Stute ist auf der Felsplatte ausgerutscht, alle vier Hufe rutschen weg, und Pferd und Reiter liegen flach am Boden, auf dem harten Stein. Zum Glück nur Schürfungen, wenn auch blutig und schmerzhaft, bei Pferd und Reiter, und wir reiten weiter, die letzte extrem steile Stelle runter ins Tal, oder besser: wieder auf die Hochebene, die Upper Plains von Wyoming. Laut Pre-Ride Briefing müsste hier zirka bei Meile 90 ein Vet stehen, nicht für ein Gate, nur für Notfälle, und als Chance für Reiter, zurückzuziehen, falls sie fühlen, das Pferd mag die letzten 10 Meilen nicht mehr schaffen, denn hier sind wir auf einer ungeteerten Strasse; die letzten Meilen sind dann wieder fast unzugänglich für Fahrzeuge. Wir treffen tatsächlich ein paar Offizielle bei einem Pickup-Truck, aber keinen Vet, was egal ist, denn Patsy’s Stute scheint okay. Unsere beiden Pferde sind immer noch frisch und munter.
Noch haben wir Licht, aber die Sonne ist am untergehen. “Jetzt geht es nur noch eben weiter, oder, “ fragt Christoph. “Oh nein, es geht noch mal da hoch“, hören wir, und ich seh mir den betreffenden Hügel mit einem Stöhnen an. In der Zwischenzeit spür ich meine Beine vom abwärts traben und rennen. Na ja, die letzten elf Meilen schaffen wir auch noch. Khan und Express sind fit; niemand ist nahe genug, um uns einzuholen; es ist nicht mehr weit!
Die nächsten elf Meilen sind wohl die schnellsten elf Meilen, die ich je geritten bin an einem Rennen. Ich weiss nicht mehr, um wie viel Uhr genau wir bei diesen 89 Meilen losritten, aber wir reiten wie die Pony Express Reiter von 1864. Wir halten nur einmal an, um den Pferden Elektrolyten und Powermischung zu geben – mit Molasse, das Zeug klebt fürchterlich und schmiert sich überall hin.
Ein paar Meilen vom Ziel fragt Patsy, wacker immer direkt hinter uns, wie wir das denn machen würden, wer denn von uns die Ziellinie zuerst überqueren werde, da wir einander wohl nicht jagen wollen. “Wissen wir noch nicht“, meint Christoph. Ich grinse ihn an und sag, “Ist doch klar, wir halten Hand und gewinnen beide! Sind ja beides deine Pferde!“ Christoph ist noch nicht ganz überzeugt und ich argumentiere: “In New Mexico hab ich den zweiten Platz dir überlassen, und nahm den dritten Rang. Also diesmal sollten wir’s so machen!“ Patsy meint, sie sei glücklich mit den Dritten, sie sei ja froh, dass sie sich bei uns habe anhängen können. “Okay“, meint Christoph.
Wir überqueren den Highway – und das waren übrigens die einzigen paar geteerten Meter auf diesem Ritt: die beiden Male, als wir den Highway überquerten).
Nun noch etwa eine Meile ins Ziel, die Sandstrasse hoch zum Base Camp – und wir haben noch ein wenig Tageslicht. Christoph meint, dass sei einmalig. Früher ritten sie statt um vier Uhr um halb fünf Uhr los, und es sei noch NIE jemand bei Tageslicht zurückgekommen vom Big Horn 100!
Wir galoppieren also locker über die Ziellinie gegen halb zehn, Hand in Hand um deutlich anzuzeigen, dass wir uns den ersten Rang teilen wollen.
Kurz darauf bestehen auch beide Pferde den letzten Vet Check, wo auch bereits der Check für Best Condition durchgeführt wird. Wir haben nach Zieleinlauf eine Stunde Zeit, um die Pferde zu präsentieren, aber ich präsentiere Khan etwa 20 Minuten später, und sein Puls im CRI ist 40/40 – der Vet ist tief beeindruckt, auch mit Khan’s anderen Werten.
Die unermüdlichen Grooms sind immer noch im vollen Einsatz, und tun alles, um Khan und Express zu helfen. Ich krieche schliesslich ins Bett im Trailer. Ich höre Kate etwa zweieinhalb Stunden später. “Christoph, Larry und Mel sind hier.“ Dann, noch mal zwei Stunden oder so später, “Christoph, Anton und Jo sind hier.“ Somit sind alle unsere acht Pferde zurück, und alle acht sind fit to continue!
Bei der Preisverteilung am folgenden Morgen hören wir dann, dass Khan auch den Best Condition Preis gewonnen hat! Als Preis erhalte ich eine Gratismeldung für den Big Horn 100, in irgend einem Jahr … Na das, das nächste Mal werd ich trotzdem wieder lieber den Tevis reiten. Aber der Big Horn ist wohl einer der anstrengendsten Ritte überhaupt, noch härter and mühsamer als der Tevis! Und überwältigend wunder-wunderschön! Ein tolles Erlebnis, ein unvergessliches Abenteuer! Würd ich’s wieder tun? Klar!
Bericht: Esty H. Geissmann