Die Meldung für diesen Ritt schickte ich in erster Linie los, um das „Wettkampf-getümmel“ unter den geänderten Umständen zu erleben und in Erfahrung zu bringen, wie Waniki und ich damit zurechtkommen. „Geänderte Umstände“ heisst in unserem Fall, dass mein Pferd seit Dezember 2007 die Welt einäugig erlebt – aufgrund einer Pilzinfektion, die leider trotz grösstem Aufwand und fachmännischer Betreuung nicht bekämpft werden konnte, musste ihm das linke Auge entfernt werden. Zu meiner grossen Erleichterung kommt er sehr gut mit diesem Umstand zurecht. Natürlich macht sich das Handicap in der ein oder anderen Situation bemerkbar, aber ich kann allen nur Mut zusprechen, die vor einer ähnlichen Situation stehen und eine Entscheidung fällen müssen: es geht weiter!
Aber ich wollte ja vom Ritt erzählen. Erst einmal war ich froh, dass der Start für die gemeldete Prüfung EVG 1 auf den Beginn des Nachmittags gelegt war. So konnten wir den Tag optimal ohne Zeitdruck angehen, was mir sehr gelegen kam (ja, die abgebrochene Nachtruhe vor den frühen Starts sind (m)ein Wermutstropfen…?) Ich packte also in Ruhe unsere sieben(tausend) Sachen und wieder einmal fragte ich mich, ob ich es nicht übertreibe, wenn ich den ein oder anderen Ausrüstungs-gegenstand im Doppel mitnehme. 2 Sattelgurte, 2 Schabracken, 2 Kopfstücke usw. Bis jetzt musste ich noch nie auf die 2. Garnitur zurückgreifen, aber es könnte ja sein, dass… wahrscheinlich schlägt da mein Jungfrau-Sternzeichen durch.
Pferd bereit, Auto geladen, Pferd verladen und ab geht’s. Zeitlich lag ich gut im Plan und nach etwas mehr als anderthalb Stunden Fahrzeit (zum Glück wollten die meisten Feriengänger Richtung Gotthard) landeten wir auf dem holprigen Stoppelfeld bei Eglisau. Waniki ärgerte sich im Transporter bereits über einen Grossangriff Bremsen und war froh, dass ich ihn von den ärgsten der blöden Stechmonster befreite (die Schlacht zu Eglisau… bäh, bäh, bäh. Ich bin ja äusserst tierlieb, aber kann mir jemand erklären, was diese Viecher für einen Sinn und Zweck haben? Für mich gehören die in die gleiche Kategorie wie Zecken: überflüssig!) Nach dem ersten Kurzbesuch im Hänger ging’s also weiter zur Meldestelle um den Papierkram zu erledigen. Dort traf ich auf Pascale Ory, Claudia Boggs und Judith Lehmann. Sie wollten auch auf die EVG 1-Strecke und wir überlegten, zusammen an den Start zu gehen. In der Dreiergruppe tauchte noch ein kleines Hindernis in Form eines fehlenden Sattelgurtes auf, da konnte ich glücklicherweise aushelfen, ich werde also auch in Zukunft viele Dinge im Doppel dabei haben ?.
Im Vet-Check erhielten wir grünes Licht – optimale Pulswerte, Darmgeräusche, Atmung und der Rest ist auch ok, nur mit dem Vortraben hapert’s ein bisschen. Wir üben zwar immer schön zu Hause und haben’s dort auch gut im Griff, aber im Ernstfall baut Waniki gerne den ein oder anderen Hüpfer ein ? wir üben weiter.
Um zusammen mit dem El-Manis-Kleeblatt auf die Strecke zu gehen, war ich zu langsam mit meiner Vorbereitung, Waniki und ich standen also alleine am Start, was mir auch recht war, konnte ich mich doch so ganz auf ihn konzentrieren. Er trabte munter los, so richtig nach dem Motto: Komm, lass uns die Welt erobern! Wir folgten brav den gut sichtbaren Markierungen, ab in den Wald, über’s Bahngeleise, ohne Hektik, alles im lockeren Trab. Irgendwann brüllte laute Rockmusik in den Wald, hatte ich nicht irgendwo Anzeigetafeln eines Open-Airs gesehen? Das wird dann wohl hier in der Nähe stattfinden. Bald war’s wieder still und wir trabten einsam durch den Wald. Plötzlich kam mir ein Gedanke: ich war vom Start weg einfach den Markierungen gefolgt die ich gesehen habe, hatte mir aber keinen Moment überlegt, ob ich auch wirklich auf der richtigen Schlaufe war… War ich verkehrt unterwegs? Ok, die Streckendetails stimmten zwar mit der Karte überein, aber es machten sich doch leise Zweifel breit. Konnte ich wirklich so doof sein? Und überhaupt, auf der Anfahrt habe ich bei den Strassenüberquerungen Streckenposten gesehen. Und jetzt? Alle weg.
Dann plötzlich Hufgetrappel von hinten, ich parierte durch zum Schritt und wir machten Platz. Waniki liess das Überholmanöver per Galopp zwar cool über sich ergehen, fand es anschliessend aber doof, dass er nicht auch einen Gang höher schalten durfte. Es war also für einen Moment vorbei mit dem lockeren Trab und wir stritten etwas über das Tempo… Bei der Durchquerung von Wasterkingen (was für ein hübsches Dorf!) konnte er sich nicht so ganz entscheiden, aus welchem der vielen Brunnen er jetzt trinken wollte, genehmigte sich aber dann doch noch einen grossen Schluck, worüber ich bei der Mordshitze doch sehr froh war. Die Hitze war das eine, aber diese unablässigen Bremsenangriffe waren echt eine Pest! Nach der Dorfdurchquerung hatten wir ein paar Höhenmeter vor uns woraus Waniki normalerweise kein Drama macht. Aber irgendwie machte sich (jetzt schon?!) eine leichte Sinnkrise bemerkbar. „Was?? Bei dieser Affenhitze und den ganzen Stechmonstern soll ich hier durch’s Gelände klettern? Du hast wohl einen Vogel??“ Um ihn wieder etwas zu motivieren, stieg ich also ab und nahm die Strecke unter die eigenen Füsse. Schweisstreibend… Zum Glück trafen wir bald auf eine Wasserstelle. Die fleissigen Helfer brachten Wanikis Motivation wieder etwas auf Touren und wir waren bald wieder in einem lockereren Tempo unterwegs. Anfänglich sehr gut in der Zeit liegend, waren wir – bedingt durch das Motivationstief – etwas nach hinten gerutscht. Aber egal, Hauptsache das Pferdchen war wieder bei Laune. Die Strecke schlug mir zwar manchmal etwas auf’s Gemüt, fand ich die Wege doch ab und an relativ hart und schotterig. Die Markierung war aber tiptop und liess auch bei der Brück(ch)enüberquerung beim Steinbruch keinen Zweifel, dass der Weg wirklich da durchführte. Einen kleinen Moment überlegte ich noch, ob ich absteigen und Waniki über den Steg führen sollte, aber er steuerte die Stelle derart zielbewusst an, dass der Gedanke gleich wieder verflog – nicht nötig. Tolles Pferd! Dankeschön!
Den Grasweg nach Durchquerung der Betonwüste gegen Schluss fand er auch ganz angenehm und wir waren flott Richtung Ziel unterwegs. Aber was war da los? Von weitem konnte ich sehen, dass eine Person am Boden lag und jemand mit Pferd an der Hand dabeistand. Das sah ziemlich ernst aus! Wir stoppten ab und ich fragte ob ich helfen kann. Direkt helfen könne ich weiter nichts, die Sanität sei bereits alarmiert und unterwegs, aber ich solle doch bitte im Ziel schnellstmöglich nochmals darauf dringen, dass die Sanitäter schnell bei der Verletzten sind. Damit die Helferin die Verletzte besser betreuen konnte, bat sie mich, ihr Pferd mit ins Ziel zu nehmen. Ups, weder mein Hengstchen noch ich haben je einen Meter mit Handpferd zurückgelegt und eine Stute war’s auch noch. Getoppt wurde der Umstand aber von der Tatsache, dass die Stute auch einäugig ist – es fehlt auch das linke Auge. Priska, so heisst die Dame, sei auch schon als Handpferd unterwegs gewesen und sei ganz anständig und wenn’s brenzlig würde, solle ich einfach mit ihr sprechen. Ok, wir hatten hier einen Notfall, alles andere war unwichtig. Ich liess den Rest meines Wassers vor Ort (mehr konnte ich direkt auch nicht machen), nahm Priska auf die linke (Wanikis blinde) Seite und wir machten uns auf den Weg. Normalerweise gehe ich solche neuen Situationen ruhig an, aber wir hatten’s etwas eilig. Also im flotten Trab Richtung Ziel. Ich weiss nicht mehr genau, was ich den beiden Pferden erzählte, aber sie waren sensationell, einmal wurde der Weg etwas eng und Priska konnte nicht anders, als Waniki etwas zu schubsen, was dieser mit einem entrüsteten Quietscher quittierte… es war, als wüssten die beiden, dass es ernst war und wir keine Zeit für irgendwelche Hampeleien hatten. Auf halber Strecke überholten wir eine zweite Helferin, die mit dem Pferd der Verletzten und ihrem eigenen zu Fuss Richtung Ziel unterwegs war. Auch dieses Manöver schafften wir problemlos. Im Ziel machte ich nochmals deutlich, dass sich die Sanität doch bitte etwas beeilen solle und drückte Priska schnellstmöglich einer Funkerdame in die Hände. Es wurde mir erst im Nachhinein klar, dass die Sanität von der Unfallstelle aus direkt alarmiert wurde und der Notruf nicht über die Funker oder Veranstalter gelaufen war. Ist ja auch der absolut richtige Weg, aber mit meinem Verlangen nach den Sanis, brachte ich etwas Unruhe ins Funkerzelt, da diese noch gar nichts von dem Unfall wussten. Im ersten Moment redeten wir etwas aneinander vorbei, weil ich davon ausging, dass der Unfall bereits bekannt war.
In dieser Situation ging beinahe unter, dass ich meinen grünen Zettel mit der Eingangszeit mitnehmen und langsam an die Vet-Kontrolle denken sollte. Aber ehrlich gesagt, ein solches Erlebnis relativiert alles und rückt Wichtiges und Unwichtiges auf andere Positionen.
Wir zottelten also zu unserem Material und nahmen auch diese Sache noch in Angriff. Netterweise unterstützte mich Sue Campell dabei Waniki abzusatteln und abzuwaschen. Bei einem Topgroom mit ihren Erfahrungswerten konnte nichts schief gehen. Kurz darauf machten wir uns Richtung Vet-Check auf die Socken. Waniki sichtete von weitem seine Weggefährtin Priska und musste sich bei ihr bemerkbar machen. Die Endkontrolle durch Katja von Peinen, wir erhielten grünes Licht und Transportfreigabe. Nur dieses Vortraben wieder…
Immer noch sehr nachdenklich und froh, dass wir gut ins Ziel gekommen waren, zogen wir los wir Richtung Transporter. Dort war Fressen angesagt, den ersten Durst hatte Waniki schon aus einem der Riesenbottiche im Groombereich gelöscht. Ich bugsierte unser Material wieder zum Auto, versicherte mich, dass mit dem Pferdchen alles ok war und gönnte mir auch einen Schluck Wasser. Aua! Die Wasserflasche hatte die vergangenen Stunden im Auto verbracht und ich verbrannte mir fast den Mund, so heiss war das Wasser. Teebeutel hatte ich nicht dabei und eigentlich auch keine Lust auf eine heisse Tasse Tee…
Als alles wieder im Auto verstaut war, machte ich mich auf den Weg Richtung Rangverkündigung. Dort wurde dann auch gemeldet, dass die verletzte Reiterin zusammen mit ihrem Pferd gestürzt war und sich beim Sturz an Schulter und Hüfte verletzt hatte. Den beiden Reiterinnen, die direkt vor Ort erste Hilfe geleistet hatten wurde gedankt. Wie ich später erfahren habe wollten die beiden eigentlich eine Quali reiten, was sie aber wegen Zeitüberschreitung natürlich nicht schafften. Der Zeitablauf sollte ja nachvollziehbar sein – wenn also die Zeiten innerhalb der Auflagen liegen, kann den beiden diese Qualistufe nicht gutgeschrieben werden? Schliesslich hatten sie Wichtigeres zu tun, als an ihre Qualis zu denken!
Waniki und ich beendeten den Ritt auf dem 28. Rang. Einerseits war ich etwas enttäuscht, hatte ich doch auf einen besseren Platz gehofft, andererseits fand ich die Platzierung dann doch nicht mehr so wichtig. Wie gesagt, der Unfall relativierte einiges. Und ich war ja mit dem Vorhaben gestartet, zu sehen wie das Piratenpferd und ich den Trubel bewältigen und diese Situation hat er mit Bravour gemeistert.
Auf diesem Weg möchte ich mich bei dem Funkerteam am Ziel entschuldigen, dass mir nicht klar war, dass sie von dem Unfall nichts wussten, und deshalb meine Infos am Anfang etwas dürftig ausfielen.
Gute Besserung an die verletzte Reiterin und den beiden Helferinnen vielen Dank für Euren Einsatz. Danke auch Dir Gerda, dass Du uns Priska anvertraut hast. Das grösste Dankeschön aber meinem Pferd – ich staune immer wieder, was er alles mitmacht.
Bericht: Aïda Di Mauro